Dank eines guten Radwegnetztes gilt Oulu als Welthauptstadt des Winterradfahrens. © Harry Schiffer, eltis.org

Die finnische Stadt Oulu zeigt, was es braucht, damit Menschen im Winter Fahrrad fahren. 

An Tagen wie diesen ist es nicht unbedingt lustig, Fahrrad zu fahren. Der Schnee ist nass und kalt, die Strassen rutschig, der Wind bläst einem um die Ohren – nicht jedermanns und jederfraus Sache. Doch dass man im Winter nicht Fahrrad fahren kann, ist kein Naturgesetz.

Oulu ist die fünftgrösste Stadt in Finnland – und mit über 200’000 Einwohnern mehr Einwohner als das gesamte Ostallgäu. Dort werden 20 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt. 50 Prozent der Bevölkerung geben an, auch im Winter Fahrrad zu fahren. In Oulu liegen die Temperaturen von November bis und mit März fast immer unter dem Gefrierpunkt, im Januar und Februar ist es im Durchschnitt kälter als 10 Grad Celsius unter Null. An rund 100 Tagen pro Jahr schneit es. Zum Vergleich: Im Allgäu gab es im Jahr 2022 ganze 40 Schneetage.

In Oulo hält das die Leute nicht vom Radahren ab. Im Winter sind so viele Menschen auf Fahrrädern unterwegs wie im Sommer. Laut dem Magazin Bloomberg Citylab kommt der Knick erst, wenn es kälter wird als minus 20 Grad – dann lässt ungefähr einer von sechs Radfahrern das Fahrrad im Keller. Den anderen fünf ist auch das egal. In Oulu sind im Winter auch die Fahrradabstellplätze vor den Schulen voll – das zeigt, dass nicht nur ein paar Verrückte ohne jegliches Temperaturempfinden Rad fahren, sondern auch ganz normale Kinder.

In Oulu sind zwei Dinge grundsätzlich anders als in Deutschland: Erstens gibt es ein durchgehendes Netz von Radwegen, das vom Autoverkehr getrennt ist. 875 Kilometer lang ist das Netz – weite Teile davon sind befahrbar, ohne dass eine Strasse mit schnellem Autoverkehr überquert werden muss. Zum Vergleich: Das Radwege-Netz in Neu-Ulm, das ebenfalls knapp 200’000 Einwohner zählt, beträgt gerade einmal 84km. In Oulu kann jeder Rad fahren, ohne von einem Autofahrer bedrängt, schikaniert oder überfahren zu werden.

Zweitens werden die Radwege gepflügt, und zwar noch vor den Autostrassen. Wenn es sein muss, mehrmals pro Tag. Hier kommt allerdings auch eine klimatische Gegebenheit ins Spiel, die wir im Allgäu nicht replizieren können: Weil es so kalt ist und so viel schneit, liegt auf den Radwegen stets eine dünne, kompakte Schicht Schnee. Diese ist griffig und angenehm zu befahren – viel sicherer als Glatteis und Schneematsch. Wer mehr darüber wissen will, wie die selbsternannte Welthauptstadt des Winterradfahrens funktioniert, dem sei dieser Kurzfilm eines kanadischen Filmemachers wärmstens empfohlen.

Auch Finnen fahren nur dann im Winter Rad, wenn die Routen sicher sind (Video: Not Just Bikes)

Zurück ins Allgäu. Hier gehen die Frequenzen der Radfahrten im Winter zwar zurück, aber nicht so stark, wie Gegner der Fahrradförderung behaupten. Ja, Winterradfahrer brauchen Handschuhe und geeignete Kleidung. Doch dass das tatsächlich für viele einen Hinderungsgrund darstellt, ist alles andere als zwingend. Wir, die stolzen Angehörigen der Skiregion Allgäu, tun ja eigentlich nichts lieber, als uns bei Schnee und Kälte draussen zu bewegen. Niemand kommt auf die Idee, Skifahren oder Wandern sei wegen der Witterung irgendwie unzumutbar.

Die Angst vor Stürzen dürfte dagegen tatsächlich Menschen vom Radfahren abhalten – allerdings weniger wegen des Sturzes an sich als wegen des Risikos, anschliessend von einem Auto überfahren zu werden. Und dieses Szenario ist im Gegensatz zu Oulu durchaus realistisch. Hier sind die viele Radwege nicht abgetrennt, sondern mit ein bisschen Farbe am rechten Rand der Autostrasse aufgepinselt. Routen, auf denen keine Gefahr durch Autoverkehr besteht, sind selten.

Und mindestens außerhalb der größeren Orte im Allgäu werden die Radwege im besten Fall ganz zuletzt geräumt. In den weniger guten Fällen wird der Schnee von der Strasse auf die Radwege gepflügt. Diese bleiben dann unpassierbar – auch lange nachdem der Schnee überall sonst geschmolzen ist.

Oulu und viele andere Städte in den Niederlanden und in Dänemark belegen, dass der Anteil derer, die auch im Winter mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, viel höher sein könnte. Alleine von Schnee und Kälte lassen sich nur jene abschrecken, denen auch Skifahren zu kalt ist. Was es braucht, sind sichere und effiziente Routen.